Ein zentraler Baustein des Unternehmenserfolgs
Das Büro von morgen ist der Supercomputer der physischen Interaktion
„In der Welt der Büroimmobilien bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen“, sagt WÖHR + BAUER-Geschäftsführer Wolfgang Roeck. Längst haben hippe Tech-Start-ups Themenwelten im Büroalltag etabliert, die eher an einen Hotelaufenthalt als an einen Arbeitsplatz erinnern: sei es eine mit Kunst gepflasterte Lobby, die gemütliche Lounge mit Siebträgermaschine oder der sanft ausgeleuchtete Yogaraum. Lange Zeit als modische Spinnerei abgetan, ist der Trend zum Büro als Erlebnis- und Lebensraum inzwischen zum Mainstream geworden. Im Zeitalter des Homeoffice muss das Büro nun in allen Bereichen mit dem Wohnzimmer konkurrieren.
Also am besten alles abreißen und neu bauen? Geht nicht, der Klimaschutz fordert ja nun auch noch seinen Tribut: Graue Energie wird heute in den Städten so vehement verteidigt wie andernorts Moore und Auwälder. Nach dem Richtfest für die Revitalisierungs-Blaupause MERGENTHALER in Frankfurt haben Wolfgang Roeck und Raphael Gielgen, Trendscout Future of Work Life & Learn bei Vitra, ihre Antwort auf die Frage nach dem Büro der Zukunft gegeben. Ihr Fazit: Auch diese Krise ist eine Chance. Die Büros von morgen spielen eine entscheidende Rolle.
„Das Büro wird ein zentraler Baustein des Unternehmenserfolgs“, sagt Roeck. Oder wie der im Auftrag des Möbeldesigners Vitra weit gereiste Trendscout Gielgen es ausdrückt: „Im Vergleich zu den Fabriken, in denen sich der wirtschaftliche Wandel zwei- bis dreimal schneller vollzieht, ist das Büro zum Schlafwagen des Wandels geworden. Die Unternehmen ziehen in ihre neuen Büros und arbeiten dort mit den alten Methoden, Technologien und Führungsstilen. Das Büro von morgen ist der Supercomputer der physischen Interaktion. Die Architektur ist dabei eine Schlüsselressource.“
Das Büro ist ein zentraler Innovationsmotor
Wolfgang Roeck beschäftigt sich als Bauherr seit mehr als 30 Jahren leidenschaftlich mit der Frage nach dem richtigen Büro: „Wenn wir Büros bauen, haben wir das Ziel, Lebensraum, das heißt Leben in Funktionsräumen, zu gestalten“, so Roeck. Der Mensch stehe im Mittelpunkt. Schon 2006, als WÖHR + BAUER in München mit dem Angerhof das neue Headquarter der Linde AG entwickelte, sei ihm viel über die Zukunft der Arbeitswelten bewusst geworden. Ein Bürogebäude habe nicht nur eine Form und eine Gestalt. Damit ein Gebäude der pulsierende Arbeitsort eines erfolgreichen Unternehmens wird, brauche es eine klare Identität. Über diese emotionale Aufladung erreiche eine Firma Ownership seiner Mitarbeitenden. „Erst dann wird aus einem Unternehmen eine gemeinsame Unternehmung“, erklärt Roeck. Man kann auch Kunst als Medium nutzen. So steht im Innenhof des Angerhofs eine mehr als sechs Meter hohe Molekül-Skulptur, die sich thematisch dem Unternehmen Linde widmet.
Die Hauptsache sind und bleiben natürlich die Arbeitsflächen: Bereits zu dieser Zeit forderte der damalige Linde-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle Flächen mit neuen Qualitätsmerkmalen, einem völlig neuen Niveau an hochwertiger technischer Ausstattung und lobte den Angerhof für seine „räumliche Flexibilität“. „Die Zeit der Zellenbüros ist vorbei“, da ist sich auch Raphael Gielgen sicher. „Wer ungestört vor seinem Computer arbeiten möchte, muss dafür nicht mehr ins Büro fahren.“ Im Büro findet all das statt, wofür das Homeoffice zu klein oder die virtuelle Welt zu begrenzt ist.
Die Geschäftsmodelle der Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren verändern. Permanentes Beta, also der permanente Wandel in der Arbeitswelt, ist der neue Imperativ. Und dieser ständige Wandel braucht einen Raum, der ihn ermöglicht. Das Büro ist ein zentraler Innovationsmotor. Erst durch eine kritische Masse von Menschen in Büros entsteht Reibung und „social collision“, d.h. Begegnung und damit Austausch, „social learning“.
Social Learning – Lernen durch soziale Interaktion, die schnellste Form der Wissensvermittlung, funktioniere nicht über Zoom, ist sich Gielgen sicher. Das Büro wird eine neue Bedeutung bekommen. Wir stehen an der Schwelle von einer wissensbasierten zu einer kompetenzbasierten Wirtschaft. Letztere erfordert physische Interaktion.
Jeder Chef ein Bundestrainer
Nicht nur die Architekt:innen und Bauherr:innen müssen sich bei der Entwicklung zukunftsfähiger Arbeitswelten neu erfinden. Auch die Führungskräfte in den Unternehmen sind gefordert: „Der Chef ist der Dirigent der Transformation“, nennt es das Sprachbild-Talent Gielgen und wechselt in eine Sportmetapher: „Leadership ist heute vergleichbar mit den Herausforderungen eines Bundestrainers. Menschen kommen zusammen und gehen wieder auseinander, trotzdem muss es gelingen, ein Team, eine Mannschaft zu schmieden.“ Um dies zu erreichen, sei es wichtig, zu wissen, wo man hin will – und warum. Die Firmen brauchen eine Vision, einen Zweck und müssen die Menschen dafür gewinnen, für das Erreichen dieses Ziels alles zu geben. Im Wettbewerb um die besten Köpfe spielt dieser Aspekt nach Meinung vieler Expert:innen eine immer wichtigere Rolle.
Wolfgang Roeck sorgt unterdessen für das ausreichend große Spielfeld der Mannschaften. In Neubauten wie dem OPTINEO im Münchner Werksviertel, wo WÖHR + BAUER für KPMG Büros mit verschiedenen Gastronomieangeboten, großzügigen Loggias, Eventflächen im Turm und speziellen Eltern-Kind-Arbeitsplätzen geschaffen hat, ist es kein Problem, die neuen Raum- und Platzbedürfnisse zu erfüllen. In älteren Gebäuden ist das oft nicht so einfach. „In alten Büroflächen hat man oft das Problem, dass die Grundrisse nicht zu den Erfordernissen der modernen Arbeitswelt passen.“ Man benötige viel mehr Flächen, wo Teams zusammenkommen können. Raum für Workshops, Labs, Talks. Im MERGENTHALER hat WÖHR + BAUER mit dem Architekt Holger Meyer einen Kunstgriff gewählt: Durch einen Anbau wird aus dem Trapez ein Baukörper mit Rechteck und damit die Tiefe der Büroflächen entsprechend großzügiger.
Das alte Büro ist dagegen der Schlafwagen des Wandels. Deshalb sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch keinen Grund, an einen Ort zurückzukehren, der aus der Zeit gefallen ist. Es ist wie ein alter Supercomputer, der keine Grafikprozessoren hat. So könnte man die Thesen von Raphael Gielgen auf den Punkt bringen. Als Vitras Trendscout reist Gielgen rastlos durch die Welt und besichtigt rund 100 Unternehmen pro Jahr. Er fordert auf, das Büro radikal neu zu denken. Wir erleben also einen Systemwechsel; das ist aktuell die zentrale Herausforderung.
LebensRAUM gestalten
Ein Gebäude ist viel mehr als nur ein Gebäude, es ist ein reiches und vielfältiges Raumerlebnis, das sich aus sorgfältig gestalteten Sequenzen zusammensetzt, die sich gegenseitig ergänzen und kontrastieren. In diesem Sinne steht Architektur für Raumerfahrung und Kommunikation. Heute, im Zeitalter von Remote Work, kann diese Qualität durch physische, virtuelle oder gemischte Realitäten erreicht werden. Umso mehr müssen die Architektur und das Raumerlebnis das Gefühl eines Ortes vermitteln, an dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne und an vielen Tagen in der Woche kreativ und mit vollem Einsatz arbeiten können. In der Wirtschaft der Zukunft ändern sich Arbeitsabläufe schnell und kontinuierlich. Um effizient und effektiv die besten Ergebnisse zu erzielen, müssen Teams ständig in Bewegung bleiben und sich an unterschiedliche Routinen anpassen. Veränderung ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens eines Unternehmens. Innovationstreiber ist heute die Technologie. Diese ermöglicht es dem Unternehmen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und seine Produktivität und Wertschöpfung zu verbessern. Dies erfordert nicht nur die Anpassung an veränderte Anforderungen, sondern auch die Notwendigkeit, dafür verschiedene räumliche und funktionale Konfigurationen zu schaffen und Technologien zu aktualisieren, ohne die Gebäude, die laufenden Aktivitäten und das gesamte Arbeitsumfeld wesentlich zu stören.
Auch in der Debatte um den Begriff „Placemaking“ erkennen Roeck und Gielgen den Trend, dass es wieder mehr Wertschätzung für Orte gibt. „In Zeiten des Umbruchs brauchen die Menschen Orte, wo sie sich gut aufgehoben fühlen“, sagt Roeck. Gielgen stimmt ihm zu: „Es geht um die Frage, wie der Ort die unausgesprochenen Erwartungen der Nutzenden erfüllt, die Gemeinschaft fördert und die Resilienz stärkt. Es geht um die Kraft der Erzählungen, um starke Räume, die in ihrer Körpersprache das Unternehmen vermitteln und niemanden einschränken, sondern in seiner Arbeit stärken und fördern.“ Dazu brauche es aber auch Bereitschaft und Mut, in den Unternehmen räumliche Veränderungen durchzuführen.
Daran mangelt es WÖHR + BAUER nicht: Bei jedem Bürostandort ist die Vision für das Umfeld ein zentraler Treiber für das Konzept. Vom Angerhof und dem Falckenberg Ensemble in München bis zum Stuttgarter H33, die Platzgestaltung im öffentlichen Raum spielt stets eine wichtige Rolle. Und die Vision des Unternehmers wird genutzt, um Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft gemeinsam auf den Weg der Veränderung zu führen.
Denn am Ende ist unsere Stadtgesellschaft an manchen Stellen wohl auch nichts anderes als ein Gebäude, in dem es noch zu viele Zellenbüros gibt. Aber immer öfter kann man inzwischen beobachten, wie Einzelne damit beginnen, ihre Stube zu einer attraktiven und flexiblen Turnhalle des Geistes umzubauen.
Bild 1: (v.l.n.r.) Matthias Preuß (Deutsche Börse), Wolfgang Roeck (WÖHR + BAUER), Raphael Gielgen (Trendscout Vitra), Prof. Thomas Beyerle (Catella Group)
Bild 2: Wolfgang Roeck, Geschäftsführer und Gesellschafter WÖHR + BAUER
Bild 3: Raphael Gielgen, Trendscout Vitra